Sachen mit Wœrtern an der a szem

In unserer Spalte szemforgató wird die Berliner Literaturzeitschrift und Werkstatt Sachen mit Wœrtern vorgestellt – wöchentlich publizieren wir eine Sammlung von ihren Prosa- und Lyrikwerke, solange unser Vorrat reicht. Die ganze Serie ist zweisprachig; so bauen wir die Hierarchie der Begriffen wie „eine Sprache” und „origineller Text” ab. Das benutzte Bildmaterial gehört zum Design der SMW, copyright Petrus Akkordeon. Wir bedanken uns herzlich für die Zusammenarbeit von den Autor*innen und Redakteur*innen der SMW und von unseren Übersetzer*innen (Orsolya András, Katalin Erdős, Viktória Gere, József Kocsis, Zsófia Molnár, Gábor Nyéki, Tímea Sárkány, Örs Székely).

In diesem ersten Teil unserer Reihe lassen wir die SMW unter der Form eines Interviews präsentieren, dann folgt Carla Hegerl’s Gedicht in der Übersetzung von Zsófia Molnár. 

 

© Petrus Akkordeon

szem: Funktioniert Sachen mit Wœrtern als Sammelpunkt der jungen Literatur? Was bedeutet „jung” für euch?

SMW: Unser Hauptanliegen ist es, ganz unterschiedliche Texte und Perspektiven zusammenbringen und aus diesem vielstimmigen Dialog etwas Neues entstehen lassen. Dabei ist das Alter der Autor*innen, die etwas einsenden, erst einmal egal. Uns geht es um Texte, die etwas wagen, um Sprachexperimente und Sprachspiel, überraschende Blickwinkel auf das jeweilige Thema. Wir wollen einen direkten, offenen Zugang zu Literatur schaffen, bei dem erst einmal alles möglich ist und mit dem wir nicht nur Germanist*innen und Feuilleton-Leser*innen erreichen. Das alles könnte man als „jung” im Gegensatz zu „konventionell”, „verstaubt” und „eingerostet” bezeichnen. Gleichzeitig liegt es uns natürlich sehr am Herzen, Autor*innen zu entdecken und zu fördern, die bisher noch unbekannt sind und wenig oder gar nichts veröffentlicht haben.

szem: Wo ist der Platz der SMW im deutschsprachigen Literaturraum?

(Wie sieht es dieser Raum aus, welchen sind die wichtigen Institutionen zeitgenössiger Literatur und die Strömungen/Tendenzen die diese Literatur beeinflussen?)

SMW: Im weitläufigen deutschsprachigen Literaturraum kann man sich sehr schnell verlieren, deshalb ist die Frage kaum zu beantworten. Zum einen gibt es eine sehr vielfältige Verlagslandschaft, die von großen Namen wie Suhrkamp, Hanser und Fischer dominiert wird und über eher auf Unterhaltung spezialiserte Großverlage bis zu den unabhängigen Verlagen reicht. Ebenso gibt es neben den rinommierten Literaturpreisen (Georg-Büchner-Preis, Ingeborg-Bachmann-Preis, Deutscher Buchpreis, …) zahlreiche Preise, Förderstipendien und Schreibwerkstätten, die sich auch an junge Autor*innen richten.

Da sie eine Art Brücken- oder Sprungbrettfunktion einnehmen, sind für junge Literatur besonders die Literaturinstitute in Hildesheim, Leipzig, Bern und Wien, an denen man Kreatives Schreiben studieren kann und die rinommierte Literaturzeitschriften wie BELLA triste, edit und Jenny herausgeben, zentral. Einer der wichtigsten Nachwuchsliteraturwettberwerbe ist der open mike, der jedes Jahr in Berlin stattfindet, ein Nachwuchsfestival ist Prosanova in Hildesheim.

Wir sind dagegen eher in der vielseitigen unabhängigen Szene Berlins zu Hause, die über innovative Literaturhäuser wie das Haus für Poesie und die Lettrétage, kleine Verlage, Lesereihen, Literaturzeitschriften und Festivals einen weit über die Stadt hinausgehenden Einfluss hat. Hier finden wenig „markttaugliche” Genres wie Lyrik und Kurzprosa ebenso einen Platz wie literarische und interdisziplinäre Experimente (tatsächlich erlebt Lyrik gerade einen leichten Aufschwung, was nicht zuletzt auf Lyrik spezialisierten Verlagen wie das Verlagshaus Berlin und kookbooks zu verdanken ist). Auch entstehen zur Zeit (nicht nur in Berlin) zusätzlich zur Poetry-Slam-Szene zahlreiche Lesereihen mit oft einfallsreichen Formaten, was eine großartige Chance für junge Autor*innen darstellt. Wir selbst legen auch großen Wert auf Lesungen, was eigentlich untypisch für Literaturzeitschriften ist. Ebenso gibt es in dieser „Unter- oder Gegenströmung” jenseits des Marktes seit jeher Raum für politische Diskussionen, befördert u.a. durch das Maxim Gorki-Theater und Zeitschriften wie Abwärts!. Uns geht es genau darum, diese Vielseitigkeit abzubilden und Texte zusammenzubringen, die sonst vermutlich niemals an einer Stelle zu finden wären. Natürlich versuchen wir auch über die freie Szene hinaus Kontakte zu Verlagen und Agenturen aufrechtzuerhalten.

szem: Jede Nummer hat ein thematischer Schwerpunkt, der sowohl durch den Texten, als auch durch Grafik erläutert wird. Wie ich sehe, durch diese Schwerpunkte (Kern, Strom, Dunst, Takt, Pausen) ist Literatur als Prozeß (und nicht als Produkt) vorgestellt. Was kann laut der Redaktion für die SMW passende Literatur sein und nach welchen ästhetischen und/oder politischen Selektionskriterien wird sie gekennzeichnet?

(kürzer: was ist euer Vorstellung von Literatur und wie wird das im SMW sichtbar gemacht?)

SMW: Uns ist einer offener Literaturbegriff wichtig. Wie in der Frage formuliert, sehen wir Literatur als Prozess. Es geht uns nicht um die Autor*innenvita oder ein vollendetes Werk, sondern um den Prozess, der diesem vorangeht, um das, was der (literarische) Text mit Sprache, mit Wörtern macht, um Improvisation statt Perfektion. Mit unserem Fokus auf die Poetizität der Sprache wollen die Grenzen zwischen Literatur und Alltag aufweichen. Deshalb haben wir beispielweise auch eine Rubrik, in der Berufsgruppen, die überhaupt nichts mit dem Literaturbetrieb zu tun haben, zum Titel-Thema zu Wort kommen, was veranschaulicht, dass Fachsprachen eine ganz eigene Poesie innewohnt. Ebenso tragen wir zu jedem Thema auch Zitate aus literarischen Klassikern zusammen, die so in einem neuen Licht gesehen werden können und wiederum interessante Bezugspunkte für die eingesandten Texten bilden. Dafür sind natürlich auch die Wort-Bild-Kombinate des Künstlers Petrus Akkordeon wichtig, die über eine scheinbar kindlich-spielerische Ästhetik funktionieren. Ansatzpunkt ist für uns immer die Vielschichtigkeit des meist auf den ersten Blick ganz simplen und unpoetischen Titel-Wortes. Das Heft bringt dann die Vielzahl der Perspektiven zum Vorschein, wie Literatur eben immer mit Vieldeutigkeit, Unschärfe, neuen Blickwinkeln arbeitet. Jedes Heft ist also gewissermaßen selbst ein Gedicht.

Dieser Hervorhebung von Vielfalt wohnt natürlich auch eine politische Botschaft inne, die sich menschenverachtenden reduktionistischen Zuschreibungen jeglicher Art entgegenstellt. Demzufolge fließen diese Kriterien immer auch in die Textauswahl mit ein.

© Petrus Akkordeon

Carla Hegerl

*

diese apfelhaut ist eine glutenfreie galaxis.
eine spiralförmige null-hypothese oder
anderer abglanz von geist, z.b. ein
p-wert. verträglich ist sie nur bei

regenwetter oder bei weiter
fortgeschrittenem alter der milchstraße,
denn man muss sich ihren ursprung
sehr klein und schwarz

vorstellen, man muss ihn verstehen als
keimbares manifest dunkler materie,
als wurmloch: vergleichbar mit

ursuppe und/oder mandelaroma:
ein kern auf elliptischen bahnen.
das fruchtfleisch entfernt sich.

 

Carla HEGERL, geb. 1990, Biologiestudium in München und Uppsala (Schweden), derzeit Studium Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.

MOLNÁR Zsófia, geb. 1992, hat in Klausenburg /Cluj-Napoca/Kolozsvár (Rumänien), Ungarisch und Deutsch studiert. Derzeit ist sie Doktorandin ebenda, Forschungsgebiet: Literatur der frühen Neuzeit. Nebenbei schreibt sie Rezensionen, Klappentexte, „Bücherparallele”. <><

Megosztás
Avatar photo
Carla Hegerl
Cikkek: 1